Für die Begegnung in einer Berührung braucht es Mut.​

Ich ziehe meinen Koffer über die Königstrasse in Richtung Hauptbahnhof.
Dabei schweifen meine Blicke ziellos umher bis sie bei einem verschmitzten Lächeln hängen bleiben. Impulsiv lächle ich zurück und laufe weiter.

„Danke für Ihr Lächeln, das tut gut“ ruft mir die ältere Dame hinterher.

Ich bleibe stehen und drehe mich wieder zu ihr um.
Zielstrebig und doch vorsichtig kommt mir diese Frau entgegen.
Ihr Haar ist lichte geworden, dünne, fettigen Strähnen hängen leblos in ihr Gesicht. Ein zerlöcherter Wollpulli hängt schlapp an ihrem Körper. Auf ihren Zähnen sammelte sich ein dicker vergilbter Belag, der vermuten lässt, dass diese Zähne schon einige Jahre keine Zahnbürsten mehr gesehen haben.

„Das tut so gut“ wiederholt sie sich, während sie mir ihre Hand entgegenstreckte.
Ich löse meine Griff vom Koffer und nehme ihre kalten Hände zwischen meine warmen.
In ihrem Blick funkelt Hoffnung und irgendwie auch eine Lebendigkeit, dabei ist unübersehbar wie gebeutelt diese offensichtlich Obdachlose vom Leben ist.

Und auf einmal blicke ich hinein – in diesen Abgrund einer geschundenen Seele, die mir erzählt, wie sie von Flüchtlingen bei der Bedürftigen Speisung beklaut wird, dass sie als Teenager zusehen musste, wie ihre junge Mutter direkt neben ihr auf der Strasse verstarb und dass ihr Vater auch ihr Opa sei …“

Natürlich war sie mittellos und sie bat mich um bisschen Unterstützung. Ich steckte ihr einen Schein zu und mit Tränen in den Augen lehnte sie sich an mich.

„Das tut so gut“ – damit meinte sie nicht den Mammon. Sie bezog sich auf die Berührung, den Körperkontakt.
Obwohl Ihre Haare nach Strassendreck rochen, mir der Geruch von altem und kaltem Schweiss direkt in die Nase zog und ihre speckigen Haare einen Fettfilm in meinem Gesicht hinterliessen, war all das bedeutungslos – die Berührung zählte.
In diesem Moment konnte ich nicht anders als diese Person ganz fest zu umarmen.

Bevor ich auf den Zug bin, kehrte ich noch in ein Kaffee ein, rührte etwas verstört und gleichzeitig bewegt von dieser kurzen Begegnung in meinem Cappuccino und hätte heulen können.

Ich fühlte mich so unglaublich reich, nicht weil jemanden ein warmes Mittagessen ermöglichen konnte und ich mir jeden Tag eine warme Mahlzeit leisten kann – nein, sondern weil ich dieser Person, die auf der Strasse gar nicht mehr wahrgenommen wird, diese Umarmung schenken konnte…

Was hat dich in letzter Zeit berührt?